Julia Willie Hamburg: Erwiderung auf die Regierungserklärung zur Corona Pandemie

- Es gilt das gesprochene Wort -

Anrede,

und wieder einmal erleben wir eine Regierungserklärung, die über die Zustandsbeschreibung nicht hinausgeht. Dabei wäre es gerade angesichts der vielen Notlagen, die wir in Niedersachsen und bundesweit in der Wirtschaft, im sozialpolitischen Bereich aber auch mit den steigenden Infektionszahlen beobachten jetzt an der Zeit, endlich beherzt anzupacken, um vor die Lage zu kommen. Aber nein, das ist nicht Ihr Ding. Im Sommer noch taumelten Sie mit Ihrem Lockerungsplan frei nach dem Prinzip Hoffnung und verkündeten freudig weitere Lockerungsperspektiven. Ich sage Ihnen ganz deutlich: zu einer wirklichen Transparenz gehört nicht nur, einen Lockerungsplan zu kommunizieren, sondern auch gleich einen Plan für wieder ansteigende Infektionszahlen mit zu liefern. Ebenso hätten Sie Vorsorge treffen müssen, um für den Herbst Ansteckungen in geschlossenen Räumen bestmöglich zu vermeiden. All das ist nicht geschehen! Dabei fordern wir Sie seit Mai dazu auf, der Realität ins Auge zu sehen und Niedersachsen auf die kalten Jahreszeiten gut vorzubereiten. Jetzt aber - seit Montag - hat Ihre Landesregierung nun ein neues Ampelsystem vorgestellt. Es war der 5. Oktober. Der Herbst hat bereits am 22. September begonnen, Herr Ministerpräsident. Einige Kommunen befinden sich bereits mittendrin in Ihrer Ampel. Sie sind in der orange – roten Zone und mit steigenden Infektionszahlen konfrontiert, sie hätten diesen Plan deutlich früher gebrauchen können. Andere Länder haben es vorgemacht.

Aber man gewinnt bei Ihnen allgemein den Eindruck, dass Sie bei der Bewältigung der Krise eher verwalten und den Entwicklungen hinterherlaufen. Aber fangen wir vielleicht erneut bei Ihrer Schwerpunktsetzung des Krisenmanagements an. Ich habe Ihnen bereits öfter gesagt, Herr Ministerpräsident: Es gibt mehr als große Unternehmen und Fußball bei der Betrachtung dieser Krise. Bei der Schwerpunktsetzung Ihrer Reden im Landtag gewinnt man regelmäßig den Eindruck, dass Ihr Fokus sehr eng gefasst ist. Viele Themen werden mit einem Satz abgehandelt, verdienen aber viel mehr Aufmerksamkeit durch die Landesregierung. Da sind beispielsweise die großen Probleme der Kulturschaffenden, der Solo-Selbstständigen, das sind die Fragen der Weihnachtsgottesdienste, der Laternenumzüge und der Räume für Begegnungen. Aber auch die vielen sozialen Fragen, die Fragen von Armut, psychischen Belastungen und der Perspektiven für Altenheime bei steigenden Infektionszahlen wären Themen, zu denen ich und viele Niedersächsinnen und Niedersachsen sicher gerne mehr gehört hätten. Was nützt beispielsweise Ihre Anerkennung der Leistung der Menschen, die im Gesundheitssystem arbeiten, der Leistung der Pflegekräfte, die tagtäglich das Gesundheitssystem am Laufen halten, wenn sie doch am Ende keinen Cent mehr in der Tasche haben.? Wenn sie doch am Ende schon heute wissen, dass die Rahmenbedingungen ihrer Pflegetätigkeit sich absehbar nicht verbessern werden? Glauben Sie immer noch, dass Applaus hier reicht? Oder dass Äußerungen wie die des Arbeitgeberverhandlungsführers Mädge, Pflegekräfte mögen doch sich lieber um die zu Pflegenden kümmern, als zu demonstrieren hilfreich sind? Ist das die Art der Anerkennung die wir Pflegekräften zuteilwerden lassen wollen? Hier braucht es Antworten, Herr Ministerpräsident und zwar jetzt!

Ich hätte mir auch gewünscht, dass Sie nicht nur über die großen Belastungen der Unternehmen in Niedersachsen berichten, sondern dass Sie hier und heute auch echte Perspektiven für diese Unternehmen benennen. Was heißt das konkret, dass Sie und Herr Althusmann sich nach Kräften bemühen? Welche Rolle spielen bei all Ihren Bemühungen die Fragen der Zukunftsfähigkeit von Unternehmen? Wie geht das mit den staatlichen Unterstützungsleistungen einher? Wir alle wissen, dass unsere Mittel endlich sind und wir wissen auch schon längst, dass wir nicht nur die Coronakrise zu bewältigen haben. Gerade die niedersächsische Industrie- und die vielen großen Unternehmen müssen sich auf neue Absatzmärkte einstellen, müssen sich verändern! All das müssen wir heute mitdenken, wenn wir über die Zukunftsperspektive von Unternehmen sprechen. Sonst reden wir nämlich in zwei Jahren wieder darüber, dass diese Unternehmen Probleme haben. Deswegen reichen mir Ihre Ausführung hier nicht aus. Denn Sie haben es bereits zurecht gesagt: es hängen erhebliche Arbeitsplätze an genau diesen Unternehmen.

Aber lassen Sie mich auf eine andere Branche hinweisen, die ebenfalls erhebliche Arbeitsplätze in Niedersachsen hat und die nicht in einem großen Unternehmen organisiert ist: die vielen Solo-Selbstständigen, Herr Ministerpräsident, die vielen Künstlerinnen und Künstler. Ihnen haben Sie hier und heute eine mini Passage gewidmet. Und ich sage Ihnen, genauso verfährt auch die Landesregierung mit den Menschen, die in diesem Bereich tätig sind. Dabei sind es allein im Kulturbereich 100.000 Beschäftigungen über die wir hier reden. Hinzu kommen der Eventbereich, die vielen Techniker, Messebauer und Veranstalter. Wir alle wissen doch bereits länger, dass die Programme, die es für diese Personengruppe gibt, nicht ankommen. Die Webfehler sind längst bekannt. Aber von Ihnen hierzu heute kein einziges Wort. Sie verweisen hier lediglich auf einen 10 Millionen € Programm Ihres Wissenschaftsministers. Wenn Sie die 10 Millionen € auf die 100.000 Beschäftigten herunterbrechen sind es gerade einmal 100 € pro Person. Hinzukommt, dass dieses Geld nur für Veranstaltungen ausgegeben werden soll. D.h., dass alle Menschen die eben coronabedingt keine förderfähige Beschäftigung erhalten, von diesem Geld gar nicht profitieren werden. Eine finanzielle Absicherung der Kulturlandschaft wird hiermit nicht erreicht. Andere Bundesländer sind auch hier deutlich weiter, Herr Ministerpräsident. Ich möchte an dieser Stelle noch einmal Herrn Posth zitieren:

„Herr Thümler gestern waren Sie dabei, als wir den Festakt 30 Jahre Deutsche Einheit musikalisch begleitet haben. Eine Geigerin saß auf Ihrem Platz. Überall ist Kultur zu finden. Sie ist extrem wichtig und derzeit höchst gefährdet. Ich habe den Eindruck wenigen ist klar, wie wichtig Kultur ist, dass sie die Gesellschaft zusammenhält und vor Barbarei retten kann. Wir brauchen richtig viel Engagement und Feuer von Ihnen, um das allen klarzumachen und die Kultur zu erhalten und zu stärken! Und das ist nicht mit einem kleinen Förderprogramm getan.“

Anrede,

und dann komme ich wieder zurück zu Ihrem Lieblingsthema: Fußball. Es ist doch schlicht nicht einzusehen, warum Kulturveranstaltungen nicht etwa in dem gleichen Stadion mit Abstand in größerer Personenanzahl möglich sein soll. Warum beschränken Sie hier Ihre Verordnung nicht auf die Frage der Einhaltung von Abstand und Hygienemaßnahmen, sondern messen mit zweierlei Maß? Das ist nicht zu verstehen und das müssen wir verändern denn wir merken doch alle miteinander, dass die Kulturbranche noch lange von den Corona Maßnahmen betroffen sein wird. Sie dürfen dem Niedergang zahlreicher kultureller Projekte und Initiativen nicht weiter tatenlos zusehen. Wir wollen und wir brauchen diese Vielfalt und deswegen müssen wir alles dafür tun, sie zu erhalten.

Gerne würde ich meine Redezeit mal an einem dieser Künstler*innen geben. Natürlich ist das nicht möglich. Deshalb haben wir den Rapper SPAX eingeladen, er wird ihn in der Mittagspause in seiner ganz eigenen Sprache noch einmal deutlich machen, wie es Kulturschaffenden derzeit geht. Sie sind herzlich eingeladen, sich hiervon einen eigenen Eindruck zu verschaffen.

Auch wie Sie mit dem Bereich der Schulen und Kitas umgehen, ist höchst verwunderlich: wo waren da Ihre Ausführungen zu einem Herbstplan, Herr Ministerpräsident? Sie führten hier lediglich aus, dass derzeit 48 Schulen in Niedersachsen von teilweisen oder auch kompletten Schließungen betroffen sind. Und dass das bei 3300 Schulen nicht viele seien. Nicht hinzugefügt haben Sie, dass bis vor kurzem im Landkreis Friesland 49 Schulen zeitweise geschlossen werden mussten. Ein Eindruck, was passiert, wenn die Infektionszahlen massiv steigen. Wir haben derzeit sehr geringe Infektionszahlen, darauf haben Sie selbst hingewiesen. Aber deshalb muss doch gerade jetzt gefragt werden, welche Maßnahmen ergriffen werden müssen, um Schulschließungen so lang wie möglich zu vermeiden.

Was sind denn dort Ihre Antworten, Herr Ministerpräsident? Warum gilt das AHA Prinzip eigentlich nicht für Niedersachsens Schulen? Warum sollen die grundlegenden Prinzipien nicht auch hier angewandt werden? Wo ist die Unterstützung für die Kommunen für den Herbst, bei Klassenteilung Ausweichräumlichkeiten zu suchen? Wo ist die Unterstützung für eine andere Form der Umsetzung eines Plan B? Wo ist die digitale Ausstattung der Schulen und der Kinder und Jugendlichen, um bei Schulschließungen nicht wieder viele Schulen zu verlieren? Wie lösen Sie die Frage der Schüler-Beförderung? Halten Sie es für angemessen, die Kommunen mit dieser Mammutaufgabe alleine zu lassen? Dass sich dort Kinder - jenseits aller Kohorten - dicht gedrängt im Winter mit ihren Schniefnasen gegenseitig anstecken?

Wie eine Monstranz tragen Sie Abstand halten, Hygienemaßnahmen, Alltagsmasten vor sich her. Nun haben Sie auf Bundesebene entschieden, dass sie noch ein C & L hinzufügen werden. Corona App und Lüften. Lüften und Schulgebäude: haben Sie sich in den letzten Monaten mal Schulgebäude von innen angesehen, Herr Minister Präsident? Dann wissen Sie, dass ein Herbstplan mit Lüften an den allermeisten Schulen vollkommen unrealistisch ist. Viele Schulen haben zu kleine Fenster, auf nur einer Seite eine Fensterfront oder aber schlicht keine Lüftungsanlage. An vielen Schulen dürfen die Fenster im zweiten Stock und drüber gar nicht geöffnet werden. Und wenn - im Winter wird es auch viel zu kalt. Was sind da Ihre Antworten? Wo sind da die Programme? Andere Länder haben schon längst welche aufgelegt. Was ist dort denn eigentlich Ihr Plan B? Ich kann Ihnen zumindest sagen, dass diese Bundesrichtlinie nur für Schulen funktioniert, die bereits eine Lüftungsanlage haben. Nicht aber für die die, die auf Grund ihres Alters keine haben oder für die, bei denen die Kommunen dachten, sie sparen etwas Geld, indem sie eben keine Lüftungsanlage einbauen. Viele Schulen bleiben somit außen vor. Ich finde Ihr Vorgehen in dieser Frage unverantwortlich. Sie hatten für all diese Aufgaben ein halbes Jahr Zeit. Es ist erkennbar nichts passiert.

Und dann möchte ich noch auf Ihre neue Corona Verordnung zu sprechen kommen. Auch hier haben Sie mit den niedrigen Infektionszahlen und Ihrem fünf Stufenplan damals Zeit gewonnen. Warum nutzen Sie diese nicht für parlamentarische Beteiligung? Warum nutzen Sie diese nicht für die Beteiligung der Verbände? Sie wissen doch genauso gut wie ich, dass es gute Gründe dafür gibt, eine breite Beteiligung herzustellen, gerade bei diesen schweren Grundrechtseingriffen. Ich verstehe nicht warum Sie sich die Chance nehmen, Praktiker und Betroffene, auf die sich die Verordnung direkt auswirkt, zu beteiligen? Warum beteiligen Sie das Parlament nicht endlich qualifiziert, so wie FDP und Grüne das seit Monaten einfordern? Der Qualität und der Akzeptanz dieser Verordnungen hätte das nur gutgetan!

Und dann haben Sie gesagt, Sie vollziehen mit dieser Verordnung keine großen Lockerungen. Ich habe sie gelesen und mich gefragt was das denn anderes ist, wenn Sie den Mund Nasenschutz und auch die Abstandsregeln an allen Hochschulen, Bildungsträgern, Museen und den gesamten Jugendbildungsangeboten aufgehoben haben? Man kann ja über diese Fragen streiten und auch sicherlich argumentieren, dass das eine innere Logik haben kann. Aber meinen Sie nicht es wäre angezeigt, solche Änderungen hier auch transparent zu erläutern? Wie beispielsweise wollen Sie den vielen Studierenden deutlich machen, dass sie an der Uni die Abstände nicht einhalten müssen, aber dann in gleichen Situationen auf der Straße oder bei Partys und Konzerten? Wie wollen Sie den vielen anderen Menschen erklären, dass sie sich aber weiterhin an diese Regeln halten müssen? Wie wollen Sie diese Regeln überhaupt noch kontrollieren, wenn doch eigentlich jeder sich irgendwo mit irgendwem beim Sport, in der Schule, an der Uni, in der VHS auch ohne Abstand und Mund Nase Bedeckung treffen kann? Da brauchen Sie doch eine Strategie! Auf den Widerspruch zwischen Sport und Kultur bin ich eben bereits eingegangen aber es gibt auch ein Widerspruch bei privaten Feiern. Warum belegen Sie diese eigentlich nicht auch mit den geltenden Regeln und Hygienekonzepten? Warum gilt hier bei Draußenereignissen eine Grenze von 50 Personen, gleichzeitig darf aber Sport in Räumen durchgeführt werden mit bis zu 60 Personen? Wie wollen Sie diese willkürlichen Grenzen erklären?

Die auf Bundesebene verabredeten Quarantänemaßnahmen haben Sie anders geregelt in Ihrer Verordnung. Warum? Und warum gibt es hier so viele Ausnahmen? Wie wollen Sie denn den Menschen, die das dann noch betrifft erklären, dass sie die einzigen sind die davon betroffen sind? Und finden wir es richtig, dass das der Arbeitgeber entscheidet ungeachtet der Gesamtsituation? Da laden Sie Verantwortung ab, Verantwortung, die in die Hand der Ärzte und Gesundheitsbehörden gehört. Auch hierzu hätte ich gerne etwas von ihnen gehört.

Aber ich möchte Ihnen aus Ihrer eigenen Rede noch etwas zitieren: Sie haben gerade gesagt: draußen ist keine Maske nötig, es sei denn der Sicherheitsabstand ist nicht sichergestellt. Drinnen hingegen ist eine Maske nötig, es sei denn der Sicherheitsabstand ist sichergestellt. Können Sie mir eigentlich den Unterschied erklären zwischen Drinnen und Draußen? Ich habe Ihren Aussagen allenfalls eine semantische Unterscheidung entnommen. Und das ist vielleicht auch exemplarisch für die gesamte Verordnung. Sie haben versucht die Verordnung einfacher zu machen, aber verständlicher ist sie trotzdem nicht. Aber gerade darauf kommt es doch an! Es ist doch entscheidend, dass die Landesregierung konsequent und vorausschauend Vorsorge betreibt, Transparenz bei ihren Maßnahmen nach vorne stellt und dass Sie als Ministerpräsident eine Zukunftsperspektive für Niedersachsen unter Corona Bedingungen entwickeln! Es ist entscheidend für die Akzeptanz, dass Sie endlich wieder damit beginnen Parlament und Verbände zu beteiligen! Und natürlich ist entscheidend, dass weiterhin jede und jeder einzelne Verantwortung für sich und andere übernimmt und sich an die Regeln hält. Ich bin mir sicher, dass wenn wir Niedersachsen diesen Weg einschlagen, wir auch künftig weiterhin gut durch die Krise kommen. Wir bringen uns in diesem Sinne jedenfalls gerne weiter ein.

Vielen Dank.

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