Kleine Anfrage zur schriftlchen Beantwortung mit Antwort:Fragen zum Verbleib von Vermögen der Welfen- und der Hohenzollern-Familien
Vorbemerkung der Abgeordneten
In einem Dokument, das am 11. Dezember 1945 von Ernst August Herzog zu Braunschweig und Lüneburg (geb. 17. November 1887) auf Schloss Marienburg unterschrieben wurde, antwortet der Unterzeichner auf die Frage, ob „er oder ein unmittelbares Mitglied seiner Familie jemals Besitz erworben habe, welcher anderen Personen aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen entzogen oder anderen Personen enteignet wurde im Verlauf der Besetzung fremder Länder oder zwecks Ansiedelung von Deutschen oder Volksdeutschen in von Deutschland besetzten Gebieten“ mit einem Wort: Ja. Ernst August Herzog zu Braunschweig und Lüneburg war das letzte regierende Mitglied der Welfen. Er war seit 1913 mit Viktoria Luise von Preußen, Herzogin zu Braunschweig und Lüneburg und Tochter des letzten Hohenzollern-Regenten Wilhelm II., verheiratet. In der Anlage zu dem o. g. Dokument erläutert Ernst August, er habe in den Jahren 1935, 1936 oder 1937 und später über die Reichs-Kreditanstalt in Berlin, die Oesterreichische Kontrollbank für Industrie und Handel, die Vermögensverkehrsstelle Wien, den Oberfinanzpräsidenten Wien, den Reichskommissar für die Festigung des deutschen Volkstums Marburg, den Veräußerungstreuhänder für die jüdischen Inhaber Julius Reichl & Ernst Bleyer, die „unmittelbar vor dem Abtransport standen“, u. a.
– ein Minderheitspaket der Feibisch AG, Berlin, und der Beckerwerke AG in Chemnitz,
– Anteile der Allgemeinen Baugesellschaft A. Porr, Wien (zunächst 12,5 %, später die Mehrheit der Anteile),
– Anteile des Bankhauses Aufhäuser, München,
– die Hinterschweiger Werke, Wels (später Flugzeug- und Metallbauwerke GmbH, Wels),
– die Firma Eduard Elbogen, Wien,
– die Österreichisch-Alpinen Talksteinwerke Adolf Brunner & Co,
– die St. Cathreiner Talkumwerke, Oberndorf a. d. L.,
– die Rabenwälder Talksteinwerke GmbH, Wien,
– die Steiermärkische Talkumgewerkschaft Kammern GmbH,
– die Firma Baryt Co., Reichl & Bleyer, Pernharz (Böhmen),
– die Mühldorfer Graphit AG,
– Graphit-Vorkommen in St. Lorenzen bei Rottenmann und
– Kaolin-Vorkommen in Buchberb bei Chilli, Steiermark
von ehemaligen Eigentümern jüdischen Glaubens erworben.
Sein Sohn Ernst August Prinz von Hannover (geb. 18. März 1914) hat am 19. Januar 1949, ebenfalls unterzeichnet auf Schloss Marienburg, eine gleichlautende Erklärung abgegeben. Die SZ berichtete am 18.8.2014: „Der letzte Herzog von Braunschweig-Lüneburg kaufte von dem jüdischen Wiener Unternehmer Lothar Elbogen 1938 nach Haft und Folter durchs Regime ein Kaliwerk für die Hälfte des Verkehrswertes; außerdem erwarb er ähnlich günstig das Bau- Unternehmen Porr AG, beteiligte sich zudem an der Rüstungsfirma FMW in Wels, die Flugzeuge für die Wehrmacht reparierte und kurz vor Kriegsende noch ein Düsenflugzeug mitproduzierte, das als ‚Wunderwaffe‘ in Stollen bei Gusen fabriziert wurde, an deren Errichtung wiederum die Porr AG
mitverdiente“. „Etwa 40 000 KZ-Häftlinge“ kamen dabei laut FAZ vom 17. August 2014 ums Leben. Profil.at berichtete am 27. Mai 2004: „Die Porr AG baute in Auschwitz für die IG Farben, das Konzentrationslager stellte die Arbeiter. Ab 1944 war die Porr AG im Konzentrationslager Gusen II tätig, mit KZHäftlingen wurden Stollen für die unterirdische Rüstungsproduktion errichtet“. Die Welt berichtete am 4. Februar 1999 über einen Teil der sogenannten Arisierungen und schrieb beispielsweise zu der Porr AG: „Erst Anfang der 90er-Jahre sei das Aktienpaket der Welfen für über 100 Millionen DM verkauft worden.“
Die österreichische Historikerkommission schrieb in ihrem Schlussbericht zum Vermögensentzug während der NS-Zeit: „Die meisten Unternehmer, die nach 1938 vertrieben wurden, kehrten nicht wieder zurück. Ein guter Teil der ‚Ariseure‘ konnte dagegen seine Stellung behaupten.“ (Seite 325).
1. In welcher Form sind Zwangsverkäufe, Raub, Enteignungen, sogenannte Fluchtsteuern, Zwangsvermögensabgaben, Sperrkonten u. ä. im Rahmen der sogenannten Arisierung von 1933 bis 1945 durch Mitglieder ehemals regierender adeliger Häuser in Niedersachsen wissenschaftlich aufgearbeitet worden?
Für den Bereich des Hauses Hannover sind der Landesregierung zu diesem Thema folgende abgeschlossene und laufende wissenschaftliche Aufarbeitungen bekannt:
Die Aufarbeitung der sogenannten Arisierung durch Mitglieder der Welfenfamilie erfolgt seit 2016 in einem von Frau Prof. Dr. Cornelia Rauh, Inhaberin der Professur für Zeitgeschichte an der Leibniz- Universität Hannover, geleiteten Forschungsprojekt „Die NS-Geschäfte des Hauses Hannover“. Für dieses Forschungsprojekt stellte Ernst August, Erbprinz von Hannover, bis dahin auf der Marienburg verwahrte Aktenbestände für die Auswertung zur Verfügung. Diese werden seit 2015 in der Außenstelle Pattensen der Abteilung Hannover des Niedersächsischen Landesarchivs verwahrt. Zudem läuft seit 2017 am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Georg-August- Universität Göttingen ein Promotionsprojekt von Gerrit Hollatz zum Thema „Vermögensentwicklung und Vermögensstrategien des Hauses Hannover 1913-1953“. In dem 2019 erschienenen Buch des Historikers Peter Steckhan, Herzog und Kaisertochter, Matrix Media Verlag: Göttingen 2019, wird ebenfalls dargelegt, in welchem Umfang Ernst August, Herzog
zu Braunschweig und Lüneburg (1887-1953) von dem Ausverkauf jüdischer Unternehmen profitierte. Erkenntnisse über Aufarbeitungen für das Haus Schaumburg-Lippe und das Haus Oldenburg liegen der Landesregierung nicht vor.
2. In welchen Fällen haben die ursprünglichen Eigentümer der o. g. Firmen oder deren Erben ihren Besitz nach dem Ende der NS-Diktatur aufgrund alliierter Militärgesetzgebung oder aufgrund von Rückstellungsgesetzen zurückbekommen oder eine Entschädigung in der Höhe des Verkehrswertes erhalten?
Hierzu liegen der Landesregierung keine Informationen vor.
3. Welche der o. g. Firmen, Banken, Grundstücke, Bergrechte, Lizenzen und sonstigen Rechte befinden sich heute noch im Besitz von Erben der Welfen- oder der Hohenzollern-Familie?
Soweit dem Niedersächsischen Finanzministerium im Bereich der Steuerverwaltung diesbezügliche Informationen aus einem Verfahren in Steuersachen bekannt geworden sein sollten, steht einer Beantwortung das Steuergeheimnis entgegen. Aufgrund der gesetzlichen Verpflichtung zur Wahrung des Steuergeheimnisses (§ 30 Abs. 1 der Abgabenordnung - AO) ist es der Landesregierung verwehrt, entsprechende Auskünfte zu erteilen, soweit diese in einem Verfahren in Steuersachen (§ 30 Abs. 2 Nr. 1 AO) bekannt geworden sind. Dies ist unabhängig davon, ob ein solches Verfahren überhaupt geführt wird bzw. wurde. Dabei erstreckt sich das Verbot der Offenbarung/ Datenweitergabe schon darauf, ob überhaupt derartige Daten in einem solchen Verfahren bekannt
geworden sind. Auch das Verwaltungsverfahren selbst und die Art der Beteiligung am Verwaltungsverfahren unterliegen dem Steuergeheimnis.
Im Übrigen liegen der Landesregierung hierzu keine Informationen vor.
4. Welche der o. g. Firmen, Banken, Grundstücke, Bergrechte, Lizenzen und sonstigen Rechte sind von den „Ariseuren“ wieder veräußert worden oder mit anderen Firmen verschmolzen worden?
Siehe Antwort zu Frage 3.
5. Welche Erlöse wurden von den „Ariseuren“ bei der Veräußerung von Firmen, Banken, Grundstücken, Bergrechten, Lizenzen oder sonstigen Rechten oder Teilen davon jeweils erzielt?
Siehe Antwort zu Frage 3.
6. Welche der o. g. Firmen, Banken, Grundstücke, Bergrechte, Lizenzen und sonstigen Rechte wurden der Organisation Todt zur Verfügung gestellt, wurden von dieser genutzt oder haben Aufträge der Organisation Todt ausgeführt?
Siehe Antwort zu Frage 3.
7. Welche Baumaßnahmen hat die Porr AG für die Organisation Todt oder in Kooperation mit der Organisation Todt ausgeführt?
Hierzu liegen der Landesregierung keine Informationen vor.
8. Welche Archive in Niedersachsen, Deutschland, Österreich oder bei Behörden der Alliierten verfügen über Material zu den o. g. Firmen, Banken, Grundstücken, Bergrechten, Lizenzen und sonstigen damit verbundenen Rechten?
Unterlagen zu den Erwerbungen Ernst Augusts finden sich in den Aktenbeständen des Hauses Hannover, die dem Niedersächsischen Landesarchiv 2015 vom Haus Hannover übergeben worden sind sowie in geringerem Umfang auch in den übrigen im Niedersächsischen Landesarchiv deponierten Beständen des Welfenhauses.
Zu der Frage, inwieweit sich Material in Archiven außerhalb des Niedersächsischen Landesarchivs befindet, liegen der Landesregierung keine verlässlichen Kenntnisse vor.
9. Welche dieser Archivalien sind nicht öffentlich zugänglich?
Die im Niedersächsischen Landesarchiv deponierten Bestände des Hauses Hannover sind nur mit Zustimmung des Depositars öffentlich zugänglich. Die Zustimmung ist erforderlich für die Benutzung der Archivalien, für die Einsicht in Findmittel zu solchen Archivalien, die noch Schutzfristen unterliegen sowie für die Herstellung von Reproduktionen. Die jüngeren Übernahmen aus der Marienburg sind - solange das Forschungsprojekt von Frau Prof. Rauh (vergleiche Antwort zu Frage 1) noch nicht abgeschlossen ist - für die allgemeine Benutzung gesperrt. Zur öffentlichen Zugänglichkeit etwaigen Materials in Archiven außerhalb des Niedersächsischen Landesarchivs liegen der Landesregierung keine Kenntnisse vor.
10. Haben der Bund oder das Land Berlin oder das Land Brandenburg im Zusammenhang mit Rückforderungen von Erben des Hauses Hohenzollern Akten oder sonstige Informationen beim Land Niedersachsen oder bei Archiven des Landes oder bei der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten angefordert?
Es liegen der Landesregierung keine Informationen darüber vor, dass beim Land Niedersachsen oder beim Niedersächsischen Landesarchiv oder bei der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten vom Bund oder von den Ländern Berlin und Brandenburg im Zusammenhang mit Rückforderungen von Erben des Hauses Hohenzollern Akten oder sonstige Informationen angefordert wurden.