Kleine Anfrage zur kurzfristigen schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung :Auf welche Vorgaben und rechtlichen Grundlagen können sich Trans*Schülerinnen in Niedersachsen verlassen?
Vorbemerkung der Abgeordneten
In einem Artikel der taz vom 01.12.2020 wird beispielhaft anhand eines Schülers aus Bremen, der sich zuvor in der Schule als trans* geoutet hatte, aufgezeigt, inwiefern Trans*Personen in Schule bevormundet werden, wo Wissen und rechtliche Grundlagen fehlen und in welchem Umfang Schülerinnen und Schüler nach einem Coming-out als trans* für Akzeptanz kämpfen müssen. Laut dem Artikel hat vor allem fehlendes Wissen seitens der Klassenlehrkraft dazu geführt, dass der betroffene Schüler in seinen Bedürfnissen immer weiter missachtet wurde und schließlich nach mehreren Nervenzusammenbrüchen in eine depressive Phase fiel.
Nach Auskunft von SCHLAU Niedersachsen gibt es seitens der Lehrkräfte stark zunehmend Anfragen zu Trans*Outings und den richtigen Umgang damit. Dies sei vor allem beim letzten Auftreten mit einem Stand im Rahmen der Didakta deutlich geworden. Die Lehrkräfte beklagten fehlende rechtliche Grundlagen bzw. ihre Unsicherheit in diesem Zusammenhang, wenn es beispielsweise um Umkleidekabinen im Sportunterricht oder Zimmeraufteilungen auf Klassenfahrten gehe. Auch die Nutzung des neuen Namens in der Anrede oder auf Zeugnissen verunsichere nach Auskunft durch SCHLAU Niedersachsen viele Lehrkräfte. Viele wünschten sich Handlungsempfehlungen oder einen Leitfaden.
Erste Rechtsgutachten legen nahe, dass der neue Name einer Trans*Person überall genutzt werden darf, und beispielsweise der Deutsche Ethikrat empfiehlt dies auch, doch die Unsicherheiten der Schulen bestehen weiterhin. Zu den genannten offenen Fragen wurde in Nordrhein-Westfalen ein Leitfaden „Trans* und Schule“ entwickelt, an dem sich Lehrkräfte und Schulleitungen orientieren können.
Vorbemerkung der Landesregierung
Der Landesregierung sind das gesunde Aufwachsen und eine positive Persönlichkeitsentwicklung aller Schülerinnen und Schüler ein wichtiges Anliegen. Durch ein umfangreiches Beratungs- und Unterstützungssystem der Schulen durch schulpsychologische Dezernentinnen und Dezernenten, Beratungslehrkräfte, sozialpädagogische Fachkräfte, Regionalbeauftragte für Prävention und Gesundheitsförderung sowie Beraterinnen und Berater für Gesundheitsförderung wird diesem Ziel Rechnung getragen.
1. In welchem Umfang werden Anfragen und Auskunftsersuche zu Themen der geschlechtlichen Vielfalt (inter*/divers, trans*/nicht-binär) durch Schulpersonal an die zuständigen Behörden gerichtet?
Es gibt keine systematische statistische Erfassung und Auswertung zu Anfragen im Themenbereich geschlechtlicher Vielfalt, die durch das schulische Personal gestellt werden.
2. Inwiefern wird schulisches Personal durch Aus-, Fort- und Weiterbildung auf Fragen der geschlechtlichen Vielfalt vorbereitet (bitte alle Veranstaltungen und Verankerungen z. B. in der Ausbildung aufzählen)?
Die Lehramtsausbildung ist in zwei Phasen gegliedert: das universitäre Lehramtsstudium und den Vorbereitungsdienst. Das niedersächsische Lehramtsstudium basiert auf der Verordnung über Masterabschlüsse für Lehrämter in Niedersachsen (Nds. MasterVO-Lehr), mit der die fachlichen Voraussetzungen für die Zulassung zum Vorbereitungsdienst geregelt sind. Im Studium müssen die angehenden Lehrerinnen und Lehrer pädagogische und didaktische Basiskompetenzen in dem Bereich Heterogenität von Lerngruppen erwerben. Des Weiteren werden in den lehramtsübergreifenden Standards der Vorschriften für die Bildungswissenschaften, Anlage 1 zu § 1 Abs. 2 Satz 1 der Nds. MasterVO-Lehr, zu den zu erwerbenden Kompetenzen folgende Aspekte ausgeführt, die dem Desiderat der „geschlechtlichen Vielfalt“ entsprechen: Absolventinnen und Absolventen beschreiben lernerfolgsrelevante Schülermerkmale (insbesondere Vorwissen, Sachinteresse, Einstellungen) sowie daraus resultierende sozialgruppenspezifische Unterschiede (insbesondere Geschlechterunterschiede und -zuschreibungen) und berücksichtigen diese Merkmale im Rahmen gruppendifferenzierender Gestaltung exemplarischer Unterrichtssituationen. Sie verfügen über grundlegendes Wissen zu Theorien der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen und reflektieren deren Bedeutung für die Erziehung.
Die Auswahl spezifischer Inhalte und die Umsetzung in Lehrkonzepte obliegen im Sinne der Freiheit von Forschung und Lehre (Artikel 5 Abs. 3 GG) den Universitäten bzw. den jeweiligen Lehrenden. An allen Standorten der Lehramtsausbildung existieren Strukturen bzw. wurden Strukturen aufgebaut, durch welche das Themenfeld der Vielfalt der sexuellen und geschlechtlichen Identitäten in Forschung und Lehre Berücksichtigung findet.
Grundlage für die Ausbildung der Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst ist die Verordnung über die Ausbildung und Prüfung von Lehrkräften im Vorbereitungsdienst (APVO-Lehr). Die im Vorbereitungsdienst zu erwerbenden Kompetenzen werden in der Anlage zu dieser Verordnung als Standards für einen Handlungsrahmen der Ausbildung formuliert. In den Kompetenzbereichen sind beispielsweise folgende Aspekte ausgeführt, die dem Desiderat der „geschlechtlichen Vielfalt“ entsprechen: Die angehenden Lehrkräfte berücksichtigen die geschlechterspezifische, soziale und kulturelle Heterogenität der Lerngruppe. Sie schärfen den Blick für Geschlechtergerechtigkeit und machen Wahrnehmungsmuster auch im Hinblick auf Chancengleichheit der Geschlechter bewusst. Haltungen, die für die Sensibilisierung in Bezug auf Diversität und Vielfalt sexueller und geschlechtlicher Identitäten im Schulalltag Voraussetzung sind, sind demgemäß im Vorbereitungsdienst verankert.
Die angehenden Lehrkräfte erwerben darüber hinaus fachbezogene Kompetenzen, die dem Konzept Diversität noch stringenter zuzuordnen sind. Sie nehmen an pädagogischen Seminarveranstaltungen teil, in denen der Umgang mit Heterogenität und Vielfalt in Bezug auf Anforderungen der inklusiven Schule unterrichtspraktisch thematisiert wird. Dabei geht es auch darum, den Blick für Geschlechtergerechtigkeit zu schärfen und für Wahrnehmungsmuster sensibilisiert zu werden, die insbesondere im Hinblick auf Chancengleichheit der Geschlechter von zentraler Bedeutung sind. Die Ausbildung in den Unterrichtsfächern und in Pädagogik steht dabei in engem Bezug zu den niedersächsischen Kerncurricula und dem Bildungs- und Erziehungsauftrag gemäß § 2 des Niedersächsischen Schulgesetzes (NSchG). Unterrichtskonzepte des Ausbildungsunterrichtes der angehenden Lehrkräfte sind folglich auf Grundsätze der Gerechtigkeit, der Solidarität und der Toleranz sowie der Gleichberechtigung der Geschlechter auszurichten. Das Niedersächsische Landesinstitut für schulische Qualitätsentwicklung (NLQ) bereitet aktuell im Fortbildungsbereich die Umsetzung des Rahmenkonzeptes zur Qualifizierung für geschlechtergerechte Arbeit und sensiblen Umgang mit sexueller Identität in der Schule vor.
3. Auf welche Regelungen (Erlasse, gesetzliche Grundlagen, gegebenenfalls weitere Vorgaben) kann seitens der Landesregierung sowie der nachstehenden Behörden bei Fragen zur geschlechtlichen Vielfalt in Schule verwiesen werden, bzw. welche neuen Regelungen zur Verbesserung der Situation von Trans*Personen plant die Landesregierung?
Gemäß § 2 Abs. 1 NSchG hat die Schule den Auftrag, die Persönlichkeit der Schülerinnen und Schüler weiterzuentwickeln. Zu den vielfältigen Aspekten der Persönlichkeitsentwicklung gehört auch die Sensibilisierung der Schülerinnen und Schüler für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt. An diesem Auftrag wirken alle an Schule Beteiligten mit. Neben den Lehrkräften können dabei auch schulinterne Beratungsteams oder auch der schulpsychologische Dienst einbezogen werden. Schulpsychologische Beratung ist nach § 120 NSchG Aufgabe der Schulbehörden. Sie ist als Pflichtleistung des Landes und als Dienstleistung für alle an Schule Beteiligten definiert. Aktuell sind keine neuen Regelungen zur Verbesserung der Situation von Trans*Personen geplant.